Kate in Polaroids? Klingt ein bisschen old-school, aber Michael kann es erklären. Hauptberuflich ist er Lehrer in Mainz, Kate-Fan durch und durch und pflegt seine Leidenschaft für die Fotografie. Schon etwas länger hat Michael davon gesprochen, mal ein Kate-Projekt zu realisieren – das liegt jetzt vor. Zwölf Polaroids zu Songs von Kate, die in seinem Leben eine besondere Bedeutung hatten und haben. Bis Dezember wird es also jeden Monat ein Bild von Michael im Blog geben. Zum Auftakt erzählt er, was die Fotografie für ihn bedeutet, warum er lieber auf analoge Fotografie setzt und wie es zu dem Projekt gekommen ist.
Für Dich ist die Fotografie eine Erinnerung, das Einfrieren eines Momentes, die Vergangenheit festzuhalten, sie unvergänglich zu machen. Wann hast Du angefangen zu fotografieren?
Michael: Nun, die Frage wäre zunächst, was DU unter „fotografieren“ verstehst. Meine erste Kamera bekam ich mit zehn Jahren, eine Agfamatic Pocket.Kamara. Wenig später schenkte mir mein Vater meine erste Spiegelreflexkamera, eine Cosina CT-1. 1999 gab es meine erste Digitalkamera (ein Megapixel), und ich legte dummerweise die analoge Kamera dann für viele Jahre zu Seite. In dieser Zeit knipste ich zwar viel, machte mir aber wenig Gedanken über Bildkomposition und -wirkung. 2009 kaufte ich mir dann eine digitale Spiegelreflexkamera, und ab diesem Jahr, würde ich behaupten, begann ich wirklich zu fotografieren. Wenig später begann ich auch Fotos auszustellen. Allerdings gefiel mir die „digitale Ästhetik“ meiner Fotos nicht, also griff ich wieder zu meiner analogen Kamera, fing an, Filme selbst zu entwickeln. Ich begann, alte Analogkameras zu kaufen, mit dem Medium Film zu experimentieren. Ab da habe es dann kein Halten mehr.
War von Anfang der Wunsch da, Momente Deines Lebens festzuhalten?
Michael: Im Nachhinein betrachtet, durchaus. Spätestens mit meiner ersten Spiegelreflexkamera. Ich begann, Freunde zu fotografieren, Situationen, bereiste Orte. Insbesondere meine erste (leider unbeantwortete) Liebe habe ich porträtiert. Und ebenfalls im Nachhinein habe ich festgestellt, dass ich schon als Jugendlicher sehr wohl auf Bildkomposition wert legte. Ich habe von Anfang an meine Negative akribisch in Ordnern aufbewahrt, fein säuberlich beschriftet. Das ein oder andere Negativ scannte ich mittlerweile ein, sozusagen „Frühwerke“.
Was macht für Dich den Reiz aus, mit analogen Kameras, vor allem aber auch mit Polaroid zu arbeiten? Hat das auch etwas mit dem „Moment“ zu tun, der dann unabänderlich eingefroren ist, anders vielleicht, als bei digitaler Fotografie?
Michael: Analoge Fotografie ist eine bewusste ästhetische Entscheidung. Ich fotografiere auf Farb- und Schwarzweißmaterial, und ich liebe es, mit abgelaufenen Filmen zu arbeiten. Für meine letzte Ausstellung habe ich zum Beispiel alle zehn Städte besucht, in denen ich jemals gewohnt habe (u.a. Leipzig, Mannheim, Trier, ….), und habe auf SW-Filmen fotografiert, die in der Zeit abgelaufen sind, zu der ich dort gewohnt habe. Ergo waren da Filme dabei, die 1967 abgelaufen sind. Das Material trägt dann ebenfalls zum Ergebnis bei, nicht nur der Fotograf. Außerdem ist ein Polaroid ein Unikat, da es hier keine Negative gibt.Außerdem haben Polaroid-Fotos eine Anmutung, die kein anderes Material besitzt. Auch die neuen Impossible-Filme haben immer Bildfehler, Farbverschiebungen oder sonstige „Fehler“, die für mich besonders reizvoll sind. Eines der Bilder habe ich sogar mit einem schon längst abgelaufenen Original-Polaroid angefertigt (auch hier: bewusste ästhetische Entscheidung), bei dem dann beim Auslösen überhaupt nicht klar ist, was der Film aus dem Motiv macht. Analoge Fotografie ist außerdem noch wirkliches Handwerk, da ich die Filme selbst entwickle und hier auch nach dem Fotografieren noch Einfluss auf das Ergebnis habe. Ferner koche ich auch mal einen Film in Salzwasser, bevor ich ihn benutze, oder behandle ihn mit sonstigen organischen oder anorganischen Stoffen. Ich modifiziere Kameras (andere würden sagen, ich misshandle sie), um gewisse Bildeffekte zu erzielen. Analoge Bilder bzw. Polaroids scanne ich dann ein, allerdings muss dann auch eine leichte digitale Bearbeitung erfolgen (Tonwertanpassung, Schärfen, und vor allem Fusselentfernung). Übrigens, wenn man viel analog fotografiert, überträgt sich das auch auf die Art und Weise, wie man dann digital arbeitet: weniger Fotos, genaues Überlegen vor dem Auslösen. Dann braucht man da weniger digitale Nachbearbeitung.
Du gehst mit Informationen zu Deinen Bildern ja eher spärlich um. Auf Deiner Internetseite erfährt man nichts über den Kontext der Bilder, auch in Ausstellungen bist Du eher zurückhaltend. Liegt das daran, dass es sich um Deine „Momente“ handelt, Deine Bilder also immer sehr persönlich sind? Selbst Kate erzählt mehr über einzelne Songs als Du über Deine Bilder.
Michael: Nicht alle Bilder sind sehr persönlich. Allerdings bin ich der Meinung, dass die Bilder für sich sprechen sollten. Es gab (und gibt immer noch) in der künstlerischen Fotografie eine Strömung, die „subjektive Fotografie“ genannt wird. Sascha Weidner, der letztes Jahr leider viel zu früh verstarb und dessen Arbeiten ich sehr schätze, ist einer der Vertreter der heutigen Zeit dieser Stilrichtung. Wikipedia schreibt dazu unter anderem: „Die Subjektive Fotografie will nicht die objektive Wirklichkeit einer Situation wiedergeben, sondern nur deren bildhafte Deutung, eine subjektive Interpretation des Betrachters ist nötig und dessen Fantasie gefordert.“ Daher wäre für mich eine Beschreibung des Kontextes eines Fotos oder gar ein Titel ein zu starkes Korsett. Für die Polaroid-Serie, die hier veröffentlicht wird, gilt dies genauso. Die Beschriftung der Polaroids stellen keine Titel dar, sondern sind eher als Zitate zu verstehen. Ich tat mich sehr schwer, zu den einzelnen Bildern etwas zu schreiben.
Ist es vorstellbar, dass Du als Lehrer für Informatik und Mathematik eine andere Sichtweise aufs Fotografieren hast? Eher eine technische Herangehensweise, dass Du ein Bild wie eine mathematische Formel aufbaust?
Michael: Nein, überhaupt nicht. Ich denke, dass jeder ambitionierte Fotokünstler sehr wohl schon vorher ein Bild im Kopf entwirft bzw. entwerfen sollte. Schließlich haben einige Fotokünstler sogenannte Skizzenbücher, in dem Ideen bis hin zu fertigen Bildskizzen festgehalten werden. Außerdem wehre ich mich gegen diese strenge Einordnung in meine Fächer, schließlich habe ich auch noch Musikwissenschaften studiert und mich in den 90ern an der Komposition von Musik versucht – es gab sogar damals schon eine Uraufführung eines meiner Stücke. Ich habe mich also sehr wohl auch mit anderen Dingen beschäftigt als mit Mathematik.
Du hast vor einigen Monaten an einem Projekt in einem Bunker teilgenommen und bist mit einer Kamera von 1938 in das Objekt aus den 40ern gegangen. Warum?
Michael: Es ist für mich eine ästhetische Entscheidung, welche Kamera ich mit welchem Filmmaterial für welches Motiv auswähle. Diese Entscheidung treffe ich vorher, muss ich vorher treffen. Das Projekt, welches Du ansprichst, hatte zur Aufgabe, im Hochbunker in Rüsselsheim zu fotografieren. Es sollte dabei ein wenig die Angst und die Beklemmung zum Ausdruck gebracht werden, die im Bunker herrschte, als die Menschen sich bei den Bombenangriffen in dem Bunker befanden. Hier wäre mir eine Digitalkamera zu nüchtern. Ich lagere mittlerweile über 160 Kameras in meinem „Kamerazimmer“, wie ich es nenne. Ich habe also bewusst eine Kamera ausgewählt, die ebenfalls aus der Zeit stammte, in der diese dunklen Schatten über Deutschland und Europa lagen. Wer weiß, was diese Kamera damals „gesehen“ hat.
Ursprünglich wolltest Du für Dein Kate-Projekt zwölf Personen zeigen, jetzt sind es Polaroids zu zwölf Songs geworden. Wie kam es dazu?
Michael: Wie oben schon angedeutet, handelt es sich bei der Beschriftung der Polaroids nicht um Bildtitel, sondern um Zitate. Ich wollte schon länger einmal eine Serie zu Kate Bush-Liedern machen, hatte auch schon begonnen, allerdings mit anderem Filmmaterial. Aber dann kam ich doch zu dem Schluss, dass der Sofortbild-Film das Medium der Wahl für mich darstellt. Die ganze Serie ist auch ein wenig autobiografisch. Sie bildet quasi meinen Lebensweg seit dem Tod meines Vaters bis heute ab. Hierzu interpretiere ich die einzelnen Kate-Songs äußerst subjektiv. Die Musik von Kate war immer für mich da, in allen Lebenslagen. Es gab und gibt für mich „wichtige“ Songs, welche ich nun auf meine Art illustriert habe. Eines der Lieder sorgte auch dafür, dass ich den Mann meines Lebens kennengelernt habe, mit dem ich nun schon über 18 Jahre zusammen lebe. In der Tat wollte ich auch, wie Du angesprochen hast, eine Serie mit Porträts von Kate-Fans machen (fotografiert mit einer zweiäugigen Kamera, einer Rolleicord). Vielleicht setze ich dieses Projekt doch noch fort.
Wie viele „eingefrorene Momente“ hättest Du vom Konzert in London auf Foto gebannt, vor allem welche?
Michael: Nun, ich habe solche Momente eingefroren. Allerdings habe ich mich an den Appell von Kate gehalten und am Konzertabend sämtliche bildgebenden Apparate im Hotelzimmer gelassen. Aber die vier Tage, die wir zusammen mit einem guten Bekannten London verbracht haben, waren wunderschön. Einer der Momente, die ich abgebildet habe, war der Moment, als wir am ersten Abend in Hammersmith zum Odeon gelaufen sind und ich die Leuchtschrift „Before the dawn“ das erste Mal sah – ein unvergesslicher Moment für mich. Das Foto (gebannt auf Dia-Film) hängt nun als Abzug auf Leinwand in meinem Arbeitszimmer und erinnert mich immer wieder an diese wundervollen Tage. Die meisten Fotos sind allerdings digital. Übrigens stand an dem Abend, als wir im Konzert in London waren, ein junger Mann mit einer Polaroid-Kamera (eine Image Spectra) vor der Halle und fotografierte damit wohl ebenfalls die Leuchtschrift. Leider war er gleich wieder verschwunden, bevor ich ihn ansprechen konnte.
Januar:
A Coral Room
„Oh little spider climbing out of a broken jug“ singt Kate in ihrem Song „A Coral Room“. Man sieht das noch unzerbrochene Milchkännchen, eine Person, die aus einem Vorhang heraustritt – als ob sie zuvor ein Spinnennetz öffnet – und entdeckt dann erst auch die Spinne, „the spider of time“, das Symbol der Erinnerung. „Die Auseinandersetzung mit dem Tod einer geliebten Person durch die Lieder von Kate berührte mich schon immer. Ich verlor meinen Vater, als ich knapp 21 Jahre alt war“, schreibt Michael zu seinem Polaroid für den Januar. Kate verarbeitet in dem Song den Tod ihrer Mutter. „Die fotografische Auseinandersetzung mit dem Verlust einer geliebten Person beeindruckten mich bei bei Roland Barthes und Sascha Weidner, die musikalische in zwei Liedern von Kate Bush“, ergänzt Michael. Und so ist es dann passend zum Lied auch die Mutter, die wir auf dem Milchkännchen sehen…
Februar:
Hello Earth
I get out of my car, step into the night and look up at the sky. And there’s something bright, travelling fast. Look at it go! Michael hat genau den ersten Moment festgehalten: Das Auto steht in der Dunkelheit, die Tür ist geöffnet, die nur schemenhaft zu erkennende Person tritt in die Dunkelheit. Michael beschreibt es so: „Das Heraustreten aus irgendwas: dem Auto, dem eigenen Schatten, dem bisherigen bzw. vermeintlich vorbestimmten Verlauf des Lebens. Jeder tritt selbst einmal heraus. Hier findet das Heraustreten im Dunklen statt, wo es zunächst noch keiner sieht.“ Vielleicht der beste Test, wie sich das neue Leben außerhalb des eigenen Schattens anfühlt.
März:
And Dream Of Sheep
I can’t keep my eyes open – Wish I had my radio. I tune in to some friendly voices, Talking ‚bout stupid things. I can’t be left to my imagination. „Stimmen, die zu einem sprechen. Egal, woher sie kommen und was auch immer sie sagen. Einsamkeit hat viele Formen. Einsamkeit kann auch mitten in der Gesellschaft von Freunden eintreten (hierin liegt für mich vielleicht auch eine Parallele zu „All the love“). Dann ist es vielleicht besser, die Stimmen schweigen“, schreibt Michael zu seinem Polaroid. Ergo ist das Radio in diesem Fall aus, es gibt keine freundlichen Stimmen, die sich über allen möglichen Sinn oder Unsinn unterhalten. Inspirationsquelle für das Polaroid war das Bild „The Hogsmill Ophelia“, in dem Ophelia wie bei John Everett Millais im Fluss Hogsmill treibt, allerdings in diesem Fall in einem ziemlich verseuchten Gewässer. Ophelia könnte die Inspiration für Kate zu dem The Ninth Wave-Cover gewesen sein, wo sie selbst einsam im Wasser treibt und gerne die freundlichen Stimmen aus dem Radio hören würde.
April:
Under the ivy
„Es gab in meinem Leben ein großes Geheimnis, welches ich für mich behalten wollte (mittlerweile weiß ich, dass es viel besser war, es doch zu lüften)“, beschreibt Michael, warum die Textzeile „It’s not easy for me to give away a secret“ eine der wichtigsten Liedzeilen aus einem Song von Kate für ihn ist. Wie schwer so eine Entscheidung fallen kann, mag schon deutlich machen, wie man in diesem Zusammenhang „give away“ übersetzt. Wird das Geheimnis gelüftet? Wird es verraten? Offenbart man es? Gibt man es damit weg? Kate lüftet das Geheimnis in dem Lied nicht. Der Efeu als immergrünes Symbol des Lebens, die weiße Rose als Verkörperung der Unschuld – von Michael inszeniert in Verbindung mit einem unschuldig wirkenden jungen Mann. Ist er so unschuldig, wie er wirkt? Verkörpert er das Geheminis? Auch MIchael gibt darauf keine Antwort und lässt die Fragen zur Interpretation offen.
Mai:
The Fog
„Die Fotografie war für mich anfangs eigentlich nie wichtig. Und doch war sie es“, sagt Michael zu seinem Polaroid für den Monat Mai. Die Wahl ist auf den Song „The Fog“ gefallen. Die Fotografie ist für ihn eine Erinnerung, das Einfrieren eines Momentes: „Vergangenheit festhalten, unvergänglich machen. Man hält eine Fotografie in den Händen, erinnert sich an den Moment, kann ihn sehen, fühlen, und fast riechen“, beschreibt er seine Leidenschaft für die Fotografie. In Kates Song heißt es: Just like a photograph, I pick you up. / Just like a station on the radio, I pick you up. / Just like a face in the crowd, I pick you up. /Just like a feeling that you’re sending out, I pick it up. / But I can’t let you go. If I let you go, You slip into the fog…. Welche Erinnerung Michael mit diesem Bild bewahren will, verät er nicht. Nur schemenhaft ist eine Person im Sucher zu erkennen und schon muss man rätseln, ob sie aus der Vergangenheit stammt oder ob der Fotograf mit dem Moment, der da eingefroren wird, auch die Person an seiner Seite festhalten möchte, bevor sie im Nebel des Alltags verschwindet…
Juni:
Never be mine
Die Textzeile von Kate bei Never be mine ist doppeldeutig: I want you as the dream, not the reality. Sich in den Traum zu flüchten, in eine heile Welt, weil die Realität nicht das ist, was man sich wünscht, ist die offensichtliche Deutungsmöglichkeit. Man kann es aber auch anders sehen: nicht die Realität ist das Problem, sondern man selbst. Man ist nicht stark genug, sich der Realität zu stellen, sein Leben so zu leben, wie man es möchte, flüchtet sich stattdessen in (s)eine Traumwelt. Und wenn es noch konkreter um den Menschen in den Träumen oder der Traumwelt geht, bleiben genau die Fragen, denen Michael in seinem Polaroid nachgeht: „Was wäre wenn? Wenn es doch wahr geworden wär? Oder besser doch nicht? Die Gegenwart zeigt es. Der Blick zurück (über die Schulter), das ‚Vielleicht doch‘.“ (But I’m looking back over my shoulder/At you, happy without me) Unklar bleibt, wer mit dem Blick zurück über die Schulter das „Vielleicht doch“ ermöglicht. Schlüpft der Fotograf in die Rolle des Protagonisten? Tauscht er die Rollen? „Am Zweifel wird man stark, heißt es. Aber süße Erinnerungen und der Traum von einem anderen Leben, einem anderen Lebensweg, können schön sein. Oder schmerzen“, schreibt Michael. Auch das lässt eine weitere Deutung von Bild und Lied zu: der verflossenen Liebe, die man möglichst positiv in Erinnerung behalten will, die man vielleicht auch nicht gehen lassen möchte und sich deswegen lieber in den Traum flüchtet, als sich der Realität zu stellen.
Juli:
Lily
„Der Hexenkreis, den Kate beschreibt, wird repräsentiert durch die vier Erzengel, die wiederum die vier Elemente darstellen. Die vier Elemente werden auch durch vier platonische Körper repräsentiert“, ist schon alles, was Michael zu seinem Polaroid für den Monat Juli preisgeben will. Vier unterschiedlich geformte Körper. Jeder steht also für einen der in Lily besungenen Erzengel, die wir benennen können: Gabriel before me, Raphael behind me, Michael to my right, Uriel on my left side. Welche Rolle der Erzengel Michael in diesem Fall spielt, bleibt offen. Das Rot mag auf den Rat von Lily hinweisen: protect yourself with fire. Warum der Schutz notwendig wird, was das Gefühl „like life has blown a great big hole through me“ ausgelöst hat, erfahren wird nicht, können es allenfalls erahnen, wenn wir die zwölfmonatige Motivsuche als einzelne Lebensabschnitte deuten – das heraustreten aus seinem Schatten, die Einsamkeit, das Geheimnis, das man mit sich herumträgt, den Versuch, die Vergangenheit festhalten zu wollen, ganz so, als ob man den Schritt in die neue Zukunft scheut, die Flucht in die Traumwelt und jetzt die Leere, das zusammenbrechende Kartenhaus, das eine Fassade nur noch aufrecht erhalten kann, weil man Schutz sucht, sich von außen Hilfe erhofft…
August:
The Man With The Child In His Eyes
Vor ein paar Monaten bin ich von der Arbeit nach Hause gefahren. Im Radio setzte vollkommen unvermittelt The Man With The Child In His Eyes ein und hat mich mit voller Wucht erwischt. Ich hatte vollkommen vergessen, wie wundervoll dieses Lied ist. Michael fängt in seinem Polaroid die erste Textzeile ein: I hear him before I got to sleep – und macht sie sich zu eigen. „Ein leeres Hotelzimmer. Getrennt von dem Liebsten, nur das Telefon als Verbindung zu ihm. Das letzte Telefonat vor dem Schlafengehen…“ beschreibt er die Szenerie. I realize he’s there
when I turn the light off and turn over, heißt es im Song weiter. Im Bild ist das Zimmer dunkel, nur durch das Fenster fällt Licht. Es gibt unterschiedliche Deutungen, wie man den Song von Kate verstehen kann. Eine davon geht von einem sehr viel älteren Freund aus. Den ahnt man auf dem Bild auch verschwommen in Übergröße zu entdecken. Es dürfte aber ein Trugschluss sein, auch wenn das Foto in Leipzig in der Nähe des ehemaligen Karl-Marx-Platzes entstand…
September:
Cloudbusting
„Erinnerungen, seien sie gut oder schlecht. Auch Erinnerungen an schlechte Phasen des Lebens können einen weiterbringen. Abgesehen davon, dass dieser Song von Kate Bush mich an eine ganz besondere Zeit meines Lebens erinnert (sei sie auch gut oder schlecht, das ist hier unwichtig), brachte dieses Lied mich überhaupt auf die Musik von ihr“, erzählt MIchael zu dem Kate-Polaroid für September und macht es dem Betrachter diesmal ungewohnt leicht. Ein blauer Himmel, ein angedeuteter Cloudbuster, eine Wolke – alles ist klar. Genauso wie es klar ist, dass einen auch schlechte Phasen im Leben weiterbringen. Schließlich gilt zum Schluss immer: something good is going to happen!
Oktober:
Running Up That Hill
Running up that hill, erzählt MIchael, „war eines der ersten Lieder von Kate, die ich bewusst wahrgenommen habe. Alleine der Synthyklang zu Beginn des Liedes ruft bis heute freudige Erinnerungen hervor. Und er schlägt für mich die Brücke zu den ersten Polaroids: Viele Erfahrungen sind gemacht. Aber diese muss ich nun nicht mehr alleine machen. Es gibt jemanden, der sie mit mir teilt. Mit dem ich sie austauschen kann. Der mich hält. Und das tut sehr gut.” Let’s exchange the experience. Dabei gesteht MIchael ein, dass es eine Umdeutung des Songs sein könnte: „Vermutlich geht meine Interpretation in diesem Foto völlig an der Intention von Kate Bush vorbei.“ Kate hat sich vergleichsweise oft zu dem Song geäußert. „So what that song is about is making a deal with God to let two people swap place so they’ll be able to see things from one another’s perspective“, sagt sie in einem Interview. Es geht also um eine Beziehung, um Missverständnisse, die auftauchen können, und den Wunsch, mehr über die Sichtweise des Partners zu erfahren. All‘ das versucht auch Michael in seiner Deutung unterzubringen: die Partnerschaft, die Freude darüber einen Menschen gefunden zu haben. mit dem er seine Erfahrungen austauschen kann, teilen will, weil nur der dauerhafte Austausch eine Partnerschaft erhalten kann. Ob bewusst oder unbewusst greift er dabei zudem abstrakt auf einen Ausschnitt eines bekannten Motivs zurück: Die Erschaffung Adams von Michaelangelo aus der Sixtinischen Kapelle. Was könnte besser passen bei einem Song, der eigentlich „A Deal With God“ heißen sollte?!
November:
An Architect’s Dream
Fotografen sind komische Menschen. Nach drei Jahrzehnten des Wartens hocken sie im Hammersmith Apollo, lauschen Kate Bush, und denken dabei über ihre Arbeit nach. So ist es zumindest MIchael beim Set von „A Sky Of Honey“ ergangen, als der Song „An Architect’s Dream“ erklang: „Beim Konzert in 2014 wurde mir an dieser Stelle bewusst, dass ich ebenfalls auf Zufall in der Fotografie baue.“ Das November-Polaroid ist dementsprechend passend ein schönes Beispiel dafür. Michael hat einen abgelaufenen original Polaroidfilm verwendet, und sich überraschen lassen, welchen Effekt er damit erzielt. Man sieht den Sonnenuntergang, den Himmel, ein nicht definierbares Leuchten, ganz so, als ob sich die restliche Kraft der Sonne in etwas anderem widerspiegelt. Noch verblüffender ist, dass man ähnlich wie Michael beim Konzert den Eindruck hat, eine Bühne zu betrachten, sich vielleicht gerade erst der Vorhang hebt und das Motiv freigibt. Im Songtext von Kate heißt es direkt zu Beginn: „Watching the painter painting / And all the time, the light is changing / And he keeps painting“. Da trifft sich der Fotograf mit dem Maler, der Lichteffekte ganz wesentlich für sein Handwerk nutzt. Dennoch: So ganz kann die Aussage von MIchael, dass er auf den Zufall baut, nicht stimmen. Wer die bisherigen Polaroids betrachtet hat, mekrt sehr schnell, dass er nur wenig dem Zufall überlässt und die Motive wie von einem Maler eher komponiert oder von einem Architekten geplant wirken.
Dezember:
Aerial
„Sicherlich meinte Kate Bush etwas völlig anderes, aber ich frage mich seit einigen Monaten, welche Sprache nun mittlerweile (wieder) salonfähig wird. Menschenverachtend. Intolerant. Gefährlich“, schreibt Michael zu seinem Dezember-Polaroid. What kind of language is this? Mit der Holzpuppe ist der Bezug zu den Before the dawn-Konzerten offensichtlich, eine Distel als stilisiertes Mikrofon ergänzt das. Wer bei den Konzerten war oder in Before the dawn reinhört, kennt die Antwort auf die Frage: es ist die Sprache des Herzens.
Kate-Polaroids werden ausgestellt
Dass die Bilder-Serie Kate in Polaroids etwas Besonderes ist, hatte sich schon zu Jahresbeginn angedeutet. Vor dem ersten Polaroid im Januar hatte MIchael Dörr im Interview erzählt, wie sehr ihm diese Bilder am Herzen liegen: „Die ganze Serie ist auch ein wenig autobiografisch. Sie bildet quasi meinen Lebensweg seit dem Tod meines Vaters bis heute ab. Hierzu interpretiere ich die einzelnen Kate-Songs äußerst subjektiv. Die Musik von Kate war immer für mich da, in allen Lebenslagen. Es gab und gibt für mich ‚wichtige‘ Songs, welche ich nun auf meine Art illustriert habe. Eines der Lieder sorgte auch dafür, dass ich den Mann meines Lebens kennengelernt habe, mit dem ich nun schon über 18 Jahre zusammen lebe.“ Seit Januar sind bisher sieben der zwölf Polaroids erschienen – im August wird die Serie nun bei den Wiesbadener Fototagen präsentiert.
Die Wiesbadener Fototage gelten als eines der ältesten Fotofestivals in Deutschland und präsentieren zeitgenössische Fotografie. „Alle zwei Jahre zeigen Fotografen ihre aktuellen Werke unter einer jeweils wechselnden thematischen Klammer. In diesem Jahr könnte es besonders spektakulär werden, denn die Überschrift lautet ‚insight‘ – es geht um Einblicke in die künstlerische Arbeit, in eine emotionale Welt mit einer eigenen Bildsprache. Die Herausforderung bestand darin, Gedankenwelten, innere Bilder oder biographische Elemente dem Betrachter nahe zu bringen“, heißt es auf der Internetseite der Fototage unter anderem. Genau das traf auf die Bilder von Michael zu, also hatte er sich um die Teilnahme beworben und wurde von der Jury als einer von 37 Fotografen, die nun ihre Arbeiten präsentieren dürfen, ausgewählt. Für die Fototage hat MIchael sein Polaroid-Konzept leicht variiert. Im Blog war seine Bilder-Serie auf ein Bild für jeden Monat angelegt. Für die Ausstellung hat er drei neue Bilder mit einem Textbezug zu Kate erstellt und zwei der Bilder für den Blog gestrichen. Neu ist unter anderem dieses Bild mit dem illuminierten Haus unter einer Glaskuppel. Wer errät den dazu passenden Song?
Michaels Bilder werden vom 26. August bis zum 10. September im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst gezeigt. Mit den Informationen zu seinen Bildern geht Michael in der Ausstellung aber ähnlich spärlich um, wie auch im Blog. Jedem Polaroid wird eine Textzeile von Kate zugeordnet, das war ’s. „Der Betrachter soll durch das Zitat nur eine grobe Anleitung erhalten, was sich genau hinter dem Foto verbirgt“, sagt er dazu. Den Rest muss man sich denken – was dem textsicheren Kate-Fan leichter fallen mag. Bei der Vernissage am 26. August im Kunsthaus Wiesbaden wird Michael ebenfalls anwesend sein und auch Fragen beantworten. Die beste Gelegenheit für Kate-Fans, ihn zu löchern.
Neueste Kommentare